Statement – Privates – Papa

Hallo an alle, die noch da sind.
Ich war lange nicht hier und einige haben sich schon darüber gewundert.

Für die, die keine Lust auf lange Erklärungen haben, kommt hier die Kurzversion:

Mein Papa ist am 24.01.2024 unerwartet gestorben.

Alle die mehr Zeit haben, dürfen sich den folgenden Text gerne durchlesen.

Am 24.01. war ich gerade unterwegs und wollte eine Kleinigkeit einkaufen, als ich einen Anruf von Papas Nachbarin bekam. “Steffi, ich soll dir eigentlich nichts sagen, weil dein Papa dich nicht belasten will, aber ich habe Angst ihn eines Morgens tot im Bett zu finden.”

Uff! Das und die Erklärungen, er bekommt schlecht Luft, will aber nicht zum Arzt und der Arzt würde wohl keine Hausbesuche machen klang zwar nicht gut, aber mein Papa ist mein Papa: Ein Mann. Ein starkes Wesen. Mein Papa eben. Im November bekam er schonmal schlecht Luft und als ich ihm sagte, er solle doch zum Arzt, sagte er mir, dass er alt genug wäre um das selbst zu entscheiden. Am 28.12.2023 hat er mit 30 Leuten seinen 70. Geburtstag gefeiert und wirkte ziemlich fit. Im Januar telefonierten wir und schrieben per WhatsApp.

Ich rief den Hausarzt an, wir verabredeten uns für 16 Uhr bei meinem Papa. Ich kaufte alles für Hühnersuppe ein und kochte sie zuhause. Kümmerte mich um meine beiden Kids – die Große war auch krank und fuhr pünktlich zu Papa, der sich schon auf seine Suppe freute und dafür auf seinen Milchreis verzichtete.

Als ich Papa sah, habe ich mich sehr erschrocken. Im Bett lag ein Kopf, der eher an ein Kind, bzw. Jugendlichen erinnerte. Ich ging zu ihm und sagte ihm, dass der Hausarzt sich ihn erstmal ansieht. Der sagte mir dann nach ein paar Minuten, dass mein Papa eine Lungenentzündung hat und er sofort den RTW rufen müsse, mein Papa aber erst gewaschen und umgezogen werden möchte. Mein Papa war immer ein gepflegter Mann, der nicht mal bei der schweißtreibendsten Gartenarbeit nach Schweiß roch, demnach war es ihm auch ganz wichtig, sauber ins Krankenhaus zu fahren. Beim Anziehen wurde ihm schwindelig und er musste sich kurz setzen. Während ich nach dem Anruf noch nicht panisch war, überkam mich bei seinem Anblick und seiner Luftnot die Angst. Ich packte seine Krankenhaustasche auf Anweisung und dann kam auch schon der RTW. Die Sanitäter sagten, dass sie schon das Wasser in der Lunge hören, wenn er spricht, aber die Sauerstoffsättigung, der Blutdruck – alle Werte waren super. Sie wollten ihn mit einem Stuhl zum Wagen tragen, aber mein Papa ist selbst gelaufen. Ihm war es schon super unangenehm, dass der RTW mit Blaulicht kam. Als mein Papa auf der Trage saß, fragte ich ihn, ob ich ihn umarmen darf, wartete aber nicht ab, sondern tat es und sagte ihm, dass ich ihn liebhabe. Wie wichtig das für mich werden sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Während ich diese Zeilen schreibe, trage ich sein Aftershave “Tabac” und heule, aber all die Gedanken aufzuschreiben zeigt mir auch, was ich in der letzten Stunde noch von ihm hatte und wie wertvoll diese Zeit war. Ich fragte einen Sani, ob ich mitfahren soll, aber er sagte, dass ich wahrscheinlich in einer Stunde angerufen werde, nachdem mein Papa untersucht wurde und dann könne ich ihm seine Tasche bringen.

Und dann fuhr er.

Und dann kam gegen 17:30 Uhr der Anruf aus dem Krankenhaus. Nachdem er erst eine halbe Stunde weg war. Ich wusste, dass dies nichts Gutes bedeuten kann und so kam es auch. Mein Papa wohnt in einer Straße, die von der Straße abgeht, in dem das Krankenhaus ist. Er hatte keine 2 Minuten Fahrt. Mein Papa wurde wohl von der Trage ins Krankenhausbett gehoben und ist dabei kollabiert. Man hat 30 Minuten versucht ihn zu reanimieren, aber Papas Herz war zu schwach und zeigte keinerlei Reaktion.

Und das war, als meine Welt zusammenbrach.

Als nichts mehr war, wie es sein sollte.

Wie ich täglich überlebte, anstatt zu leben.

Wie ich für meine Kinder funktionierte und innerlich zerbrach.

Wie die Zeit zwischen 16 Uhr und 17:25 Uhr alles veränderte.

Heute ist er 112 Tage tot. 16 Wochen ohne ihn.

Seine Wohnung zu leeren. Zu sehen, wie alles verschwindet, wie er von jetzt auf gleich verschwunden ist. Sein Auto herzugeben, wo er seine Autos immer gehegt und gepflegt hat, egal wie alt sie waren. Den Kühlschrank abzustecken und sich zu fühlen, als würde man seine lebenserhaltenden Maschinen abschalten (obwohl er an keinen hing), seinen Wohnungsschlüssel abzugeben, sein Konto aufzulösen – all das fühlte sich falsch an und tat schrecklich weh.

Und dann kam irgendwann Ostern. An Ostern bringen wir allen immer Osterlämmer und meine Kleine fragte, ob wir nicht bei Opa am Grab picknicken könnten. Dann hatte ich Geburtstag. Der erste in 42 Jahren ohne meinen Papa. Dass ich niemals erwachsen werde, wissen alle, die mich kennen, aber plötzlich fühlte ich mich wie das kleine Kind, welches einfach nur auf Papas Schoß möchte. Sicherheit. Dabei waren mein Papa und ich beide ziemliche Sturköpfe. Wir haben beide oftmals nicht gemocht, was der andere tat und wir haben uns das auch öfter an den Kopf geworfen. Trotzdem war er immer mein Held. Dann folgte Vatertag. Was ist Vatertag, wenn der Papa nicht mehr da ist?

Jeden Mittwoch (er starb an einem Mittwoch), bin ich an seinem Grab und auch einmal am Wochenende. Manchmal zieht mich der Friedhof an, manchmal habe ich das Gefühl nicht mehr wegzukönnen. Ich weiß, dass ich seine Beerdigung in seinem Sinne abgeschlossen habe und das ist der einzige Punkt, an dem ich Seelenfrieden habe. Alles andere schien und scheint nie zu enden.

Ich suchte in seinen Unterlagen nach irgendwelchen Vorerkrankungen, von denen ich nichts wusste. Ich rief seinen Hausarzt an und fragte nach. Ich startete auf Facebook einen Aufruf um die Sanitäter des Tages zu finden und zu erfahren, wie seine letzten Minuten waren – selbst sie waren überrascht, weil alle Werte bis zum Umlagern passten. Weil er ja und nein sagte und mit ihnen Augenkontakt hielt.

Und jetzt ist er da: Eine Stelle im Wohnzimmer, ein paar Gegenstände von ihm, sein Duft (nur sein eigener Duft wird irgendwann ganz verschwunden sein und davor habe ich jetzt schon Angst). Mein Papa hätte bald die 50 Jahre im THW vollgemacht. Jetzt ist die Große in die THW-Jugend eingestiegen und immer, wenn ich sie hole, oder bringe bin ich stolz auf sie, aber es fühlt sich gleichzeitig so falsch an, dass er nicht dort ist. Das THW war sein Leben. Es gab einen großen Zeitungsartikel über ihn und bei der Beerdigung waren fast von jeder Hilfsorganisation im Ort Leute in der Kapelle. THW, DLRG, Deutsches Rotes Kreuz, ich weiß nicht wer noch. Die Schützengilde in der er über 50 Jahre war, war vertreten, einige seiner Nachbarn. Es war schön, auch wenn ich nicht allzu viel mitbekommen habe. Ich habe seine Urne getragen und hätte sie am liebsten mit nach Hause genommen. Auf den letzten Metern habe ich sie seiner ehemaligen Lebensgefährtin gegeben, die er bis zum Schluss liebte. Wir kamen nicht immer miteinander klar, aber ich habe respektiert, dass sie zu Papas Leben gehörte, bis zum Schluss. Zumindest bis ein paar Tage vorher. Meine Mädels und ich haben sogar seine Urne bemalt. Unser Lieblingspfarrer a.D. hat die Trauerrede gehalten und sie war passend und schön.

Bis heute ist da Unglaube.

Unglaube, dass er wirklich tot ist. Obwohl ich ihn direkt nach dem Tod gesehen habe und dann als die Kripo ihn begutachtet hat, noch einmal. Er fehlt. Er liebte den Frühling, wenn die ersten Blumen blühten. Er liebte den Sommer, er liebte es seine Fische im Teich anzusehen. Im Wintergarten zu sitzen und zu rätseln. Mit uns draußen zu grillen.

Als er starb hatte er zwei Lebensbäumchen im Wintergarten, die er im Frühjahr raussetzen wollte. Da seine Wohnung wieder vermietet wird, haben wir sie mit seiner Nachbarin in ihren Teil des Gartens gepflanzt. Dort kann er sie sehen. Dort, nur ein paar Meter näher zu ihm, hätte er sie hingestellt.

Da ich mit dem Tod, bzw. mit seinem Tod nicht gut umgehen kann, habe ich mir eine Trauerbegleitung gesucht. Erst jetzt gibt es immer öfter mal wieder Tage, an denen es sich nach leben und nicht nach überleben anfühlt.

Und am Ende bleibt die große Frage, wieso er mich nicht “belasten” wollte, wenn sein Tod doch umso belastender ist.

Papa, ich liebe Dich. Du fehlst mir und uns so sehr.

Helmut Pauke *28.12.1953 – †24.01.2024

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